Was du beim Elternsprechtag vermeiden solltest und wofür du ihn nutzen kannst

Elternsprechtag

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Während meiner Coachingausbildung stand der nächste Elternsprechtag an der Schule an und ich wollte den erhobenen Zeigefinger nicht mehr nutzen, um damit meine Ansichten ‚durchzusetzen‘. Zu dem Zeitpunkt war ich Tutorin in der 11 und die erste Gelegenheit, eine typische Schulsituation mal anders zu gestalten, war da.

Elternsprechtag als Tribunal

Zweimal im Jahr können wir mit Eltern in diesem Rahmen ins Gespräch kommen. Egal ob Ober-, Mittel- oder Unterstufe, Gesprächsanlässe gibt es viele – darunter einige konstruktive und positive.

Sowohl als Tutorin als auch schon zuvor als Klassenlehrerin in Klasse 5 und 6 bemerkte ich aber auch, wie unangenehm dieser Tag vielen meiner Schüler:innen war, besonders denen, die ’schlechte‘ Noten hatten oder glaubten, sie hätten etwas angestellt.

Für diese Schüler:innen ist der Elternsprechtag wie das Erscheinen vor einem Tribunal. Wenn selbst die Eltern mit einem mulmigen Gefühl dem Tag entgegensehen, weil sie es vielleicht von früher noch so in Erinnerung haben, wird es noch schlimmer.

Wirkungslose Taktik

Ich habe es so oft erlebt: Am Elternsprechtag fliegen den Kindern Vorwürfe, moralische Ermahnungen oder enttäuschte Gefühlsbekundungen um die Ohren. Wahlweise von Eltern- oder Lehrerseite oder sogar von beiden.

Da fallen Sätze wie diese:

„Die 5 in Deutsch geht gar nicht! Du musst dich mehr anstrengen.“

„Lauter Dreien, Vieren und sogar zwei Fünfen?! Deine Noten müssen besser werden, sonst bleibst du sitzen!“

„Deine Schwester hat da gar keine Probleme.“

„Ich bin traurig/wütend/enttäuscht, weil du…“.

Ein Hoch auf das schlechte Gewissen!

Klappt doch wunderbar, könnte man denken, denn vielleicht ärgert der eine danach nicht mehr seine Mitschüler:innen oder die andere meldet sich öfter im Unterricht.

Das hält dann zwei Wochen an, danach ist alles wieder wie vorher und damit hat man schon den Anlass fürs nächste Gespräch. Langfristig wirkungsvoll ist das schon mal nicht. Und der Beziehung zum Kind ist es nicht zuträglich.

Wieso klappt das eigentlich so nicht?

Moral steht uns im Weg

Es geht um richtiges und falsches, gutes und schlechtes Verhalten und oft ist dabei Moral im Spiel: Die Schüler:innen wären irgendwie bessere Menschen, wenn sie sich anders verhielten. Situationen wie eine Klassenwiederholung dürfen nicht sein…Der Maßstab ist immer abhängig von Lehrer:innen und Eltern und somit willkürlich.

Sobald Kinder und Jugendliche sich danach richten, willigen sie ein in dieses Spiel. Und wer hat da schon Lust drauf? Also erstmal abnicken, bis der Sturm vorbei ist, danach weiter machen wie zuvor.

Nehmen wir einmal an, Kinder und Jugendliche würden ihre Einstellung und ihr Verhalten dauerhaft ändern, wenn man ihnen Predigten hält. Dann würden sie die Eltern und Lehrkräfte in deren Meinung über sie nur bestätigen.

Denn was denken Erwachsene über die ihnen anvertrauten Menschen, wenn diese mit Drohungen, Moral oder gefühligen Vorwürfen zum gewünschten Verhalten gedrückt werden müssen? Möglich sind Eigenschaftszuschreibungen wie ’nicht vertrauenswürdig‘, ‚unmündig‘, ‚unfertig‘, ‚dumm‘ oder auch ‚falsch‘, ’schlecht‘.

Misstrauen schwingt mit

So erscheinen Heranwachsende als Menschen, denen man den richtigen Weg noch zeigen muss, weil man nicht darauf vertrauen kann, dass sie selbst drauf kommen.

Und weil niemand so gesehen werden möchte, müssen sie das als verwerflich eingestufte Verhalten an den Tag legen. Sonst würden sie dem ja zustimmen.

Neben Moral trifft man auch auf Misstrauen: Entweder verbünden sich Lehrer:innen und Eltern gegen das Kind oder die Eltern mit dem Kind gegen die Lehrkräfte. Beide Varianten sind für das Kind doof, weil es immer zwischen den Stühlen sitzt.

Dabei haben alle die Absicht, dass das Kind in der Schule erfolgreich und sozial integriert ist. Dafür funktioniert der erhobene Zeigefinger jedoch nicht. Mit Misstrauen oder gar mit Angst lassen sich große Ergebnisse nur schwer erreichen, das weiß jeder, der in einer Prüfung mal einen Blackout hatte.

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Mit Schüler:innen in Kommunikation sein

Wir wünschen uns, dass Schulkinder erfolgreich und sozial integriert sind. Dann brauchen wir eine andere Kommunikation. In erster Linie mit ihnen, statt über sie. Der Elternsprechtag ist zwar für die Eltern da, das bedeutet aber nicht, dass wir im Beisein des Kindes die ganze Zeit über ihn oder sie sprechen!

Der erste Schritt, alle beim Gespräch in ein Boot zu holen, ist diese gemeinsame Absicht für das Kind zu benennen.

Dann wird geklärt, wer Gesprächsbedarf hat, die Lehrkraft, die Eltern, das Kind?

Sowohl bei positiven Gesprächsanlässen als auch bei Problemen sollte ein Ziel für das Gespräch formuliert werden. Je älter das Kind ist, desto mehr kann es darin einbezogen werden. In meinem Tutorkurs in Klasse 11 habe ich die Schüler:innen selbst festlegen lassen. Ob es um den anvisierten Abschluss ging, einen Notenschnitt im Zeugnis oder dass sie sich im Kurs wohler fühlten: Wir legten die nächsten Schritte fest und hatten am Ende einen Satz nach der SMARTen Formel.

Das Eis brechen

Schüler:innen in den jüngeren Jahrgängen können sich im Vorhinein durch einen Reflexionsbogen zuhause vorbereiten. An meiner Schule haben alle Kinder in der Unterstufe einen Lernplaner, in dem solche Reflexionsbögen integriert sind. Den bringen sie zum Gespräch mit und wir beginnen mit den Erfolgen und positiven Entwicklungen. So ist das Eis schnell gebrochen ?

Gibt es Probleme, bietet sich als Alternative zu Moral und Vorwurf die Frage an, ob das Verhalten oder die aktuellen schulischen Ergebnisse für ein Ziel funktionieren oder nicht.

Wenn es z.B. um die Versetzung geht, gibt es klare Kriterien dafür. Wenn Konflikte mit Mitschüler:innen ein Thema sind, kann in einem solchen Gespräch ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt werden.

Soll sich die Note in einer Fremdsprache verbessern, höre ich von Kolleg:innen oder Eltern oft „Du musst mehr Vokabeln lernen!“. Das läuft ins Leere! Über eine Alternative habe ich hier ausführlich geschrieben.

Die Ursache eines Problems erkennen

Doch all diese Zielformulierungen nützen wenig, wenn wir uns nicht für die Ursache einer Note oder eines Verhaltens interessieren!

Ist ihr Verhalten und sind ihre Ergebnisse vielleicht eine Mitteilung an uns, was ihnen nicht gefällt? Nur in einem vorwurfsfreien Rahmen werden sie bereit sein darüber zu erzählen. Wieder eine Gelegenheit, in Beziehung miteinander zu kommen.

Statt die Lösung parat zu haben, kannst du am Elternsprechtag den Eltern und dem Kind zuhören und dich gedanklich auf ihren Standpunkt stellen. Wie sieht das Problem von dort aus? Ein gutes Indiz, ob du interessiert unterwegs bist, ist dein Redeanteil. Wenn du in Monologe verfällst, bist du es nicht ? Bleib‘ im Dialog und stelle Fragen, statt Feststellungen zu machen.

Was ist dann alles möglich?

Es ist also nicht so, dass ohne Moral oder Vorwurf nur noch gekuschelt wird. Der Unterschied ist, dass die Heranwachsenden gesehen und nicht verurteilt werden. So ändert sich hoffentlich auch das Bild, was wir von der nächsten Generation haben: Powervolle junge Menschen, die wir begleiten.

Wie war das jetzt bei meinem Elternsprechtag in der 11. Klasse? Ich habe Zielgespräche mit meinen Schüler:innen und den Eltern geführt, sodass eine ganz neue Qualität im Gespräch entstand. Ich konnte erfahren, was die Jugendlichen bewegt und dass ihre Eltern oft andere Pläne für sie schmieden. Darüber zu sprechen, war ein neues Level in der Kommunikation!

Welche positiven Erfahrungen hast du bisher beim Elternsprechtag gemacht?

Deine Ann-Marie

P.S: Das ist der zweite Teil des Themenblocks zu Elterngesprächen. Teil I liest du in „Sind Lehrer:innen und Eltern natürliche Feinde? Ein Blick auf das Lehrer-Eltern-Gespräch„!

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